Mittwoch, 17. Dezember 2008
Sit down!
250 ArbeiterInnen haben seit dem 5. Dezember die "Republic Windows"-Fabrik in Chicago, die geschlossen werden soll, besetzt gehalten - und haben damit nicht nur nach wenigen Tagen ihre Forderungen gegenüber der "Bank of America" und anderen Gläubigern auf Zahlung ausstehender Löhne und Sozialleistungen durchsetzen können; es besteht offenbar die Chance einer Fortführung von "Republic" in Belegschaftsregie. Sie setzten mit ihrer praktischen Erinnerung an die in den 1930er Jahren in den USA beliebten sit-down strikes (buchstäblich) auch ein Symbol - für eine Art der zu erhoffenden Neuanfänge (siehe 13.12.08). Hier ist ein Link zu einem Blog von Scott McLemee, überschrieben mit Workers' Republic, wo sich auch ein Video zur Betriebsbesetzung findet.
Montag, 15. Dezember 2008
Wozu dieses Buch?
Wie angekündigt, werde ich in der Folge einige Anmerkungen zu dem Buch Imaginäre Bedeutungen und historische Schranken der Erkenntnis. Eine Kritik an Cornelius Castoriadis von Michael Sommer und Dieter Wolf machen. Das Buch hat 260 Seiten und besteht aus drei umfangreichen Teilen. Es geht mir hier nicht darum (und es wäre im Rahmen eines „Blog“ wohl auch wenig sinnvoll), allem was da ausgebreitet wird – wovon Vieles übrigens auch recht wenig mit Castoriadis zu tun hat - , gerecht werden zu wollen und zu können. Notieren möchte ich nur einige Auffälligkeiten, die zum Gutteil für sich selbst sprechen dürften und die womöglich von etwas allgemeinerer Bedeutung sind, sowie einige daran anknüpfende Überlegungen – in der Hoffnung, dass diese Notizen zum Einstieg in eine Diskussion anregen.
Wozu also zunächst dieses Buch? Wie gesagt: 260 als „Kritik an Cornelius Castoriadis“ annoncierte Seiten. Angesichts dieses Aufwands notierenswert sind gleich zu Beginn gefällte vielsagende Urteile wie diese: „Theoretiker, die von einer (…) kritischen Auseinandersetzung mit Marx’ Theorie wesentliche Einsichten in die kapitalistische Gesellschaft erwarten, halten Castoriadis’ ‚schonungslose Kritik’ an Marx’ Theorie für so primitiv und falsch, dass ihnen eine weitere und eingehendere Beschäftigung mit Castoriadis’ politischer Theorie unergiebig und wenig sinnvoll erscheint. Andere Theoretiker, die der gleichen Meinung sind, was die Untauglichkeit der Kritik an Marx anbelangt, und dennoch bereit sind, sich mit der politischen Philosophie von Castoriadis auseinanderzusetzen, könnten schnell zu der Einsicht gelangen, dass diese überflüssig ist.“ (S. 11) Man fragt sich natürlich - einmal abgesehen davon, dass weder diese noch jene „Theoretiker“ namentlich genannt werden - , warum man sich dann eigentlich durch viele Seiten „Auseinandersetzung“ mit einer derart primitiven, falschen und überflüssigen Theorie quälen soll.
Beantwortet wird diese Frage im „Editorial“ des Buches, wo die Autoren als Motiv nicht nur eine „spürbare ‚Renaissance’ des Werkes von Cornelius Castoriadis“ (S. 6) anführen, sondern ihn auch einer „Tendenz“ zuordnen, die sich heute „in der Auseinandersetzung mit dem Kapital von Karl Marx“ bemerkbar mache (S. 5). Diese Tendenz repräsentiere eine „Kritik an ‚strukturfetischistischen’, für menschliches Handeln keinen Platz lassenden Interpretationen des Kapitals“ (S. 6) und klage Konzepte wie „Praxis“, „Kampf“ und „Widerspruch“ ein; als weiterer Vertreter einer solchen Tendenz wird John Holloway (z.B.: Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen, Münster 2002) ausgemacht (S. 5). Die ganze vermeintlich "anti-strukturfetischistische" Tendenz soll also getroffen werden. Aber außerdem geht es auch noch um einen „Beitrag zur Interpretation der Kritik der politischen Ökonomie“ sowie schließlich darum, „mit Hilfe des Marxschen Kapitals die Bedingungen einer emanzipatorischen Praxis aufzuzeigen“ (S. 6). Eine Kritik an Castoriadis? Castoriadis doch wohl eher als "Aufhänger" für Anderes. Hätte nicht, fragt man sich schon nach wenigen Seiten und weiter das ganze Buch hindurch, der korrektere Untertitel lauten müssen: "Eine Apologie des Kapitals“?
Der Ton, der hier die Musik macht, ist unmissverständlich: Castoriadis hat sich mit seiner „total falsch begründet(en)“ (S. 20) Theorie in „ebenso oberflächlicher wie tendenziöser Interpretation“ (S. 16) sowie mittels „vor Vagheit strotzende(r) Andeutungen“ (S. 21), nicht zuletzt „in denunzierender Absicht“ (S. 26), „ebenso absurd wie primitiv“ (S. 32 et pass.) vielfältigste „Verballhornungen“ und eine "platte und platt machende Kritik“ (S. 31) „zurechtphantasiert“ (S. 17). (Auf S. 32 habe ich die Markierung derartiger Qualifizierungen aufgegeben. Liege ich falsch, wenn ich da einen gewissen Einfluss der stilistischen Subtilitäten des Genossen Lenin herauszuhören meine?) Aber jenem Abgrund von Primitivität, Dummheit, Sinnlosigkeit und Hinterlist stehen sie eben zum Glück, klipp und klar und felsenfest, gegenüber: Die wahre Wissenschaft, d.i. der Eine Marx, - der „die ökonomisch-gesellschaftliche Wirklichkeit in einer für die Philosophen und Ökonomen unerreichbaren Breite und Tiefe erfasst“ hat (S. 23) und dessen Kapital „zum Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise (…) nach wie vor den besten Beitrag“ liefert (S. 17, Anm. 31: eine zustimmend zitierte Formulierung von Michael Heinrich).
Damit sind die Rollen (bzw. Charaktermasken) verteilt. Weitere Worte über die entsprechenden Inhalte folgen in Kürze.
Wozu also zunächst dieses Buch? Wie gesagt: 260 als „Kritik an Cornelius Castoriadis“ annoncierte Seiten. Angesichts dieses Aufwands notierenswert sind gleich zu Beginn gefällte vielsagende Urteile wie diese: „Theoretiker, die von einer (…) kritischen Auseinandersetzung mit Marx’ Theorie wesentliche Einsichten in die kapitalistische Gesellschaft erwarten, halten Castoriadis’ ‚schonungslose Kritik’ an Marx’ Theorie für so primitiv und falsch, dass ihnen eine weitere und eingehendere Beschäftigung mit Castoriadis’ politischer Theorie unergiebig und wenig sinnvoll erscheint. Andere Theoretiker, die der gleichen Meinung sind, was die Untauglichkeit der Kritik an Marx anbelangt, und dennoch bereit sind, sich mit der politischen Philosophie von Castoriadis auseinanderzusetzen, könnten schnell zu der Einsicht gelangen, dass diese überflüssig ist.“ (S. 11) Man fragt sich natürlich - einmal abgesehen davon, dass weder diese noch jene „Theoretiker“ namentlich genannt werden - , warum man sich dann eigentlich durch viele Seiten „Auseinandersetzung“ mit einer derart primitiven, falschen und überflüssigen Theorie quälen soll.
Beantwortet wird diese Frage im „Editorial“ des Buches, wo die Autoren als Motiv nicht nur eine „spürbare ‚Renaissance’ des Werkes von Cornelius Castoriadis“ (S. 6) anführen, sondern ihn auch einer „Tendenz“ zuordnen, die sich heute „in der Auseinandersetzung mit dem Kapital von Karl Marx“ bemerkbar mache (S. 5). Diese Tendenz repräsentiere eine „Kritik an ‚strukturfetischistischen’, für menschliches Handeln keinen Platz lassenden Interpretationen des Kapitals“ (S. 6) und klage Konzepte wie „Praxis“, „Kampf“ und „Widerspruch“ ein; als weiterer Vertreter einer solchen Tendenz wird John Holloway (z.B.: Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen, Münster 2002) ausgemacht (S. 5). Die ganze vermeintlich "anti-strukturfetischistische" Tendenz soll also getroffen werden. Aber außerdem geht es auch noch um einen „Beitrag zur Interpretation der Kritik der politischen Ökonomie“ sowie schließlich darum, „mit Hilfe des Marxschen Kapitals die Bedingungen einer emanzipatorischen Praxis aufzuzeigen“ (S. 6). Eine Kritik an Castoriadis? Castoriadis doch wohl eher als "Aufhänger" für Anderes. Hätte nicht, fragt man sich schon nach wenigen Seiten und weiter das ganze Buch hindurch, der korrektere Untertitel lauten müssen: "Eine Apologie des Kapitals“?
Der Ton, der hier die Musik macht, ist unmissverständlich: Castoriadis hat sich mit seiner „total falsch begründet(en)“ (S. 20) Theorie in „ebenso oberflächlicher wie tendenziöser Interpretation“ (S. 16) sowie mittels „vor Vagheit strotzende(r) Andeutungen“ (S. 21), nicht zuletzt „in denunzierender Absicht“ (S. 26), „ebenso absurd wie primitiv“ (S. 32 et pass.) vielfältigste „Verballhornungen“ und eine "platte und platt machende Kritik“ (S. 31) „zurechtphantasiert“ (S. 17). (Auf S. 32 habe ich die Markierung derartiger Qualifizierungen aufgegeben. Liege ich falsch, wenn ich da einen gewissen Einfluss der stilistischen Subtilitäten des Genossen Lenin herauszuhören meine?) Aber jenem Abgrund von Primitivität, Dummheit, Sinnlosigkeit und Hinterlist stehen sie eben zum Glück, klipp und klar und felsenfest, gegenüber: Die wahre Wissenschaft, d.i. der Eine Marx, - der „die ökonomisch-gesellschaftliche Wirklichkeit in einer für die Philosophen und Ökonomen unerreichbaren Breite und Tiefe erfasst“ hat (S. 23) und dessen Kapital „zum Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise (…) nach wie vor den besten Beitrag“ liefert (S. 17, Anm. 31: eine zustimmend zitierte Formulierung von Michael Heinrich).
Damit sind die Rollen (bzw. Charaktermasken) verteilt. Weitere Worte über die entsprechenden Inhalte folgen in Kürze.
Samstag, 13. Dezember 2008
Endlich wieder Marx!
In Zeiten, in denen die Unfälle des Kapitalismus besorgniserregende Ausmaße annehmen und alles nach radikalen, phantasievollen, selbstbestimmten, gemeinsam überdachten, machtvoll durch- und solidarisch umgesetzten Neuanfängen in sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen schreit - wollen alle nur Sicherheit. Sicherheit der Einlagen, Sicherheit des Konsum(zwang)s, Sicherheit der Renten etc. Und im Bereich der geistigen Produktion und Konsumtion: Suche und Sucht nach Sicherheit des Denkens.
Dieses Sicherheitsbedürfnis wird offenbar gegenwärtig z.T. auch durch eine "Renaissance" von Marx und Marxismus befriedigt. Das Kapital wird als "Buch zur Finanzkrise" neu entdeckt, und bundesweit bemühen sich Heerscharen geschulter "Linker" der neuen StudentInnengeneration die (seit 140 Jahren) gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse marxistischer Kapitalismusanalyse und -kritik einzuimpfen (z.B. hier nachzulesen).
In diesem Zusammenhang wird auch Cornelius Castoriadis - als einer, der immer zwischen den Stühlen bzw. Ruinen der gescheiterten vergangenen Emanzipationsbewegungen saß, um Auswege aus den historischen Sackgassen zu suchen, die jene mit geschaffen hatten - zur Zielscheibe der Sicherheit suchenden "Kritik", wie auch andere nicht- und nachmarxistischen Anläufe zu einer Neubestimmung der sich heute stellenden theoretischen wie praktischen Fragen einer Autonomiebewegung. Das Buch Imaginäre Bedeutungen und historische Schranken der Erkenntnis von Michael Sommer und Dieter Wolf (Argument-Verlag, Hamburg 2008) ist ein Versuch, aus marxistischer Perspektive "Eine Kritik an Cornelius Castoriadis" (so der Untertitel) zu formulieren. Es wäre gut und vielleicht nützlich, wenn sich eine Diskussion über diesen Versuch im Rahmen der agora entwickeln würde. Dazu werden in den nächsten Tagen erste Anstöße formuliert werden.
Dieses Sicherheitsbedürfnis wird offenbar gegenwärtig z.T. auch durch eine "Renaissance" von Marx und Marxismus befriedigt. Das Kapital wird als "Buch zur Finanzkrise" neu entdeckt, und bundesweit bemühen sich Heerscharen geschulter "Linker" der neuen StudentInnengeneration die (seit 140 Jahren) gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse marxistischer Kapitalismusanalyse und -kritik einzuimpfen (z.B. hier nachzulesen).
In diesem Zusammenhang wird auch Cornelius Castoriadis - als einer, der immer zwischen den Stühlen bzw. Ruinen der gescheiterten vergangenen Emanzipationsbewegungen saß, um Auswege aus den historischen Sackgassen zu suchen, die jene mit geschaffen hatten - zur Zielscheibe der Sicherheit suchenden "Kritik", wie auch andere nicht- und nachmarxistischen Anläufe zu einer Neubestimmung der sich heute stellenden theoretischen wie praktischen Fragen einer Autonomiebewegung. Das Buch Imaginäre Bedeutungen und historische Schranken der Erkenntnis von Michael Sommer und Dieter Wolf (Argument-Verlag, Hamburg 2008) ist ein Versuch, aus marxistischer Perspektive "Eine Kritik an Cornelius Castoriadis" (so der Untertitel) zu formulieren. Es wäre gut und vielleicht nützlich, wenn sich eine Diskussion über diesen Versuch im Rahmen der agora entwickeln würde. Dazu werden in den nächsten Tagen erste Anstöße formuliert werden.
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