Samstag, 27. Oktober 2007
Fahrrad-Rad / Rat / Räte
Selbstbestimmt (ohne Bosse) & gleicher Lohn (für alle) & sinnvolles Produkt = Nordhäuser imaginäre Rad-/Räte-Lösung.
Kennt jemand noch Alfred Jarry oder Marcel Duchamp? Sie kommen mir hier in den Sinn, und sie wären gewiss absolut solidarisch! Denn hier geht es schlicht um zeitgenössische Pataphysik, readymade:
"La pataphysique est la science des solutions imaginaires, qui accorde symboliquement aux linéaments les propriétés des objets décrits par leur virtualité." (Die Pataphysik ist die Wissenschaft der imaginären Lösungen, die den Grundzügen die Eigenschaften der Gegenstände, wie sie durch ihre Möglichkeiten beschrieben werden, symbolisch zuordnet.) Die Gegenstände sind also, gemäß der Jarry'schen Pataphysik stets mehr als sie selbst: immer zugleich als Möglichkeit eines anderen zu betrachten, das nicht unmittelbar sichtbar ist. Die Aufgabe der Pataphysik besteht darin, den sichtbaren Grundzügen der Objekte (Rad?) die imaginierten Objekte symbolisch zuzuordnen (Räte?).
Betrachtet man Duchamps Fahrrad-Rad auf dem Schemel vor diesem Hintergrund, so kann dieses Werk (von 1913) nicht nur als pataphysische Plastik gelten, sondern auch als anachronistischer Gruß an die Nordhäuser Fahrradbauern: "Es hatte (...) etwas mit der Idee des Zufalls zu tun. In gewisser Weise handelte es sich darum, die Dinge einfach laufen zu lassen und eine Art schöpferischer Atmosphäre (...) zu haben (...). Wahrscheinlich damit diese Ihnen hilft, auf Ideen zu kommen. Zu sehen, wie dieses Rad sich drehte, war sehr beruhigend, sehr tröstlich, in gewisser Hinsicht ein Sich-Öffnen zu anderen Dingen als den materiellen des täglichen Lebens. Ich mochte die Idee, ein Fahrrad-Rad in meinem Atelier zu haben (...) Es war, als ob ich einen offenen Kamin in meinem Atelier hätte, die Bewegung des Rades erinnerte mich an die tanzendemn Flammen in einem Kamin."(Marcel Duchamp, zit. n. Herbert Molderings, "Fahrrad-Rad und Flaschentrockner. Marcel Duchamp als Bildhauer", in: K. v. Berswordt-Wallrabe (Hg.), Marcel Duchamp - Respirateur, Ostfildern 1999, S. 119-144, hier: S. 136.)
Wie man hört, sind die Nordhäuser Fahrrad-Räder inzwischen ausgeliefert worden.
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Donnerstag, 4. Oktober 2007
Der Anstieg der Bedeutungslosigkeit
„Autonomie oder Barbarei“ ist in den Texten von Band 1 der Ausgewählten Schriften - und vor allem im Interview "Der Anstieg der Bedeutungslosigkeit" - deshalb die zumindest implizite Leitformel, weil Castoriadis befürchtet, dass vor unseren Augen eine lange, durch Katastrophen, aber auch durch fruchtbare gesellschaftliche und politische Konflikte geprägte schöpferische geschichtliche Epoche zu Ende geht. Eine Epoche, die nicht nur den Triumphzug von Kapitalismus und Totalitarismus, sondern auch eine Renaissance und Fortentwicklung emanzipatorischer Bewegungen sah: der bürgerlichen Revolutionen, der Arbeiterbewegung, der Frauen-, Studenten- und Jugendbewegungen etc. – alles unterschiedliche Anläufe zur Institutionalisierung eines Entwurfs von Autonomie.
Eine dunkle historische Phase könnte diese Epoche vor unseren Augen ablösen - oder schon abgelöst haben - , gekennzeichnet von blinden Gewaltausbrüchen und gesellschaftlicher Desintegration, doch ohne geschichtliche Kreativität und Alternative. Für diese historische Tendenz steht bei Castoriadis – bereits in der ursprünglichen, klassischen Kampfformel "Socialisme ou Barbarie" – das Wort Barbarei. Die Texte in Autonomie oder Barbarei versuchen auch einige der wenigen heute noch erkennbaren Fluchtlinien einer Wiederaufnahme und Fortführung des kollektiven und individuellen Entwurfs der Autonomie zu markieren.
Die Einzelaspekte und natürlich die Angemessenheit und Stimmigkeit einer solchen - äußerst pessimistisch anmutenden - Diagnose wären zu untersuchen. Näher zu betrachten bleibt unter anderem, was der Topos der "Bedeutungslosigkeit" eigentlich alles bezeichnet - er verweist gewiss in erster Linie auf den für Castoriadis zentralen Begriff der "imaginären Bedeutungen" - als dem "Kern" von Gesellschaftlichkeit überhaupt. Welche theoretischen und praktischen Implikationen hat solch eine "Zeitdiagnose" einer Schwächung (?) des "Kerns" des Gesellschaftlich-Geschichtlichen?
Desweiteren sind die Überlegungen von Castoriadis zum Islam und der Rolle der arabischen Länder, die er in dem Interview (von 1993) vorbringt, nicht ohne Aktualität und Brisanz. Vielleicht sollte man sie einmal zusammenzufassen und gemeinsam zu bewerten versuchen?
Eine dunkle historische Phase könnte diese Epoche vor unseren Augen ablösen - oder schon abgelöst haben - , gekennzeichnet von blinden Gewaltausbrüchen und gesellschaftlicher Desintegration, doch ohne geschichtliche Kreativität und Alternative. Für diese historische Tendenz steht bei Castoriadis – bereits in der ursprünglichen, klassischen Kampfformel "Socialisme ou Barbarie" – das Wort Barbarei. Die Texte in Autonomie oder Barbarei versuchen auch einige der wenigen heute noch erkennbaren Fluchtlinien einer Wiederaufnahme und Fortführung des kollektiven und individuellen Entwurfs der Autonomie zu markieren.
Die Einzelaspekte und natürlich die Angemessenheit und Stimmigkeit einer solchen - äußerst pessimistisch anmutenden - Diagnose wären zu untersuchen. Näher zu betrachten bleibt unter anderem, was der Topos der "Bedeutungslosigkeit" eigentlich alles bezeichnet - er verweist gewiss in erster Linie auf den für Castoriadis zentralen Begriff der "imaginären Bedeutungen" - als dem "Kern" von Gesellschaftlichkeit überhaupt. Welche theoretischen und praktischen Implikationen hat solch eine "Zeitdiagnose" einer Schwächung (?) des "Kerns" des Gesellschaftlich-Geschichtlichen?
Desweiteren sind die Überlegungen von Castoriadis zum Islam und der Rolle der arabischen Länder, die er in dem Interview (von 1993) vorbringt, nicht ohne Aktualität und Brisanz. Vielleicht sollte man sie einmal zusammenzufassen und gemeinsam zu bewerten versuchen?
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Um die Debatte zu beginnen...
In Autonomie oder Barbarei, dem Band 1 der Ausgewählten Schriften von Cornelius Castoriadis, steht der Themenkreis „Probleme einer Politik der Autonomie heute“ im Vordergrund. Die dort versammelten Texte befassen sich mit vielfältigen Aspekten der revolutionären, radikaldemokratischen Tradition und der (pseudo-) „demokratischen“ Theorie und Praxis in der kapitalistischen Gegenwartsgesellschaft.
Dieser gesamte Themenkreis lässt sich unter zwei Gesichtspunkten diskutieren, nämlich zum einen dem der Zeitdiagnose: wie charakterisiert und deutet Castoriadis die zentralen Merkmale und Entwicklungstendenzen der Gegenwartsgesellschaft und wie stimmig sind seine Charakterisierungen und Deutungen? Und zum anderen dem der theoretischen Grundlagen, auf denen diese Gegenwartsdiagnose beruht.
Der erste Gesichtspunkt – so mein Vorschlag – könnte auf diesen Seiten ausgehend von dem einleitenden Interview mit Olivier Morel, „Der Anstieg der Bedeutungslosigkeit“, gut erörtert werden. Die theoretischen Bezüge stellt im Band 1 am ausführlichsten der Aufsatz „Macht, Politik, Autonomie“ her.
Gibt es andere (ergänzende oder dazu quer stehende) Startpunkte? Welche Diskussionsinteressen gibt es darüber hinaus?
Dieser gesamte Themenkreis lässt sich unter zwei Gesichtspunkten diskutieren, nämlich zum einen dem der Zeitdiagnose: wie charakterisiert und deutet Castoriadis die zentralen Merkmale und Entwicklungstendenzen der Gegenwartsgesellschaft und wie stimmig sind seine Charakterisierungen und Deutungen? Und zum anderen dem der theoretischen Grundlagen, auf denen diese Gegenwartsdiagnose beruht.
Der erste Gesichtspunkt – so mein Vorschlag – könnte auf diesen Seiten ausgehend von dem einleitenden Interview mit Olivier Morel, „Der Anstieg der Bedeutungslosigkeit“, gut erörtert werden. Die theoretischen Bezüge stellt im Band 1 am ausführlichsten der Aufsatz „Macht, Politik, Autonomie“ her.
Gibt es andere (ergänzende oder dazu quer stehende) Startpunkte? Welche Diskussionsinteressen gibt es darüber hinaus?
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Gespenst der Selbstverwaltung
Die Fahrradbauer aus Nordhausen haben einen symbolischen Sieg errungen, ihr Streikrad wird fabriziert werden und rollen: siehe dazu etwa den Artikel „Strike-Bike als Marke“ von Peter Nowak in Telepolis. Interessant sind auch die Diskussionsbeiträge zu diesem Artikel, in denen ebenfalls, wie in diesem, das Gespenst der Selbstverwaltung umgeht.
Was dazu veranlasst, auf den in den nächsten Tagen erscheinenden Band 2.1 der Ausgewählten Schriften von Castoriadis hinzuweisen, dessen Aktualität in dieser Hinsicht vielleicht bemerkt werden wird. Der Band trägt den Titel Vom Sozialismus zur autonomen Gesellschaft. Der Inhalt des Sozialismus, und seine Texte kreisen vor allem um die Frage: Wie ist Selbstverwaltung (selbstverwaltete Wirtschaft, selbstverwaltete Arbeit) heute möglich?
Worauf zurückzukommen wäre.
Was dazu veranlasst, auf den in den nächsten Tagen erscheinenden Band 2.1 der Ausgewählten Schriften von Castoriadis hinzuweisen, dessen Aktualität in dieser Hinsicht vielleicht bemerkt werden wird. Der Band trägt den Titel Vom Sozialismus zur autonomen Gesellschaft. Der Inhalt des Sozialismus, und seine Texte kreisen vor allem um die Frage: Wie ist Selbstverwaltung (selbstverwaltete Wirtschaft, selbstverwaltete Arbeit) heute möglich?
Worauf zurückzukommen wäre.
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Freitag, 21. September 2007
Dringend zur Nachahmung empfohlen
Fahrradbauer und -bauerinnen im thüringischen Nordhausen halten seit nunmehr über zwei Monaten ihre Fabrik besetzt, um deren Verkauf und Demontage zu verhindern. Jetzt haben sie beschlossen, die Produktion von Fahrrädern in Eigenregie wieder aufzunehmen. Wenn bis zum 2. 10. genügend Vorbestellungen für das strike bike zusammenkommen, kann die selbstverwaltete Produktion starten.
Nicht nur, dass diese feine Aktion natürlich sofortige direkte Unterstützung verdient ("Buy a strike bike!") - sie verdient auch Nachahmung! Wie wär's zum Beispiel - auch wenn mal gerade (noch) keine Stillegung, Entlassungswelle, Umstellung o.ä. ins Haus steht - mit strike shoes, strike books, strike bread, strike wine, etc.? Strike news, strike science, strike services? Bis endlich die Selbstverwaltung - also das Grundgesetz der Autonomie: sich die Gesetze selbst zu geben - in der Arbeit verwirklicht ist. Zu empfehlen!
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Montag, 17. September 2007
Eine "agora" für den autonomieentwurf
Hier startet ein Versuch, das, was wir auf unserer Seite autonomieentwurf präsentieren (und mehr noch: präsentieren werden), öffentlich zur Diskussion zu stellen: Aspekte des Werks von Cornelius Castoriadis, politische, philosophische, sonstwie imaginäre Bedeutungen des Autonomiegedankens, editorische Bemühungen in dieser Richtung, gestalterische Einfälle, allerlei Assoziationen, etc.
agora: Versammlung der Bürger der polis zur Beratung und Entscheidung über ihre gemeinsamen Angelegenheiten (und da dies regelmäßig an einem bestimmten Ort stattfindet auch Bezeichnung dieses Ortes). Bei Cornelius Castoriadis im übertragenen - und etwas eingeschränkteren - Sinn die "öffentlich/private Sphäre" als "der Bereich, in dem die Individuen freien Umgang pflegen, diskutieren, untereinander Verträge abschließen, Bücher veröffentlichen und kaufen usw." (Autonomie oder Barbarei, S. 52).
Unsere agora soll einen Diskussionsraum für alle Themen und Fragen eröffnen, die auf den autonomieentwurf-Seiten angesprochen und aufgeworfen werden. Alle, die sich für diese Themen und Fragen interessieren, seien hiermit herzlich zum Mitdiskutieren eingeladen!
In Kürze mehr.
agora: Versammlung der Bürger der polis zur Beratung und Entscheidung über ihre gemeinsamen Angelegenheiten (und da dies regelmäßig an einem bestimmten Ort stattfindet auch Bezeichnung dieses Ortes). Bei Cornelius Castoriadis im übertragenen - und etwas eingeschränkteren - Sinn die "öffentlich/private Sphäre" als "der Bereich, in dem die Individuen freien Umgang pflegen, diskutieren, untereinander Verträge abschließen, Bücher veröffentlichen und kaufen usw." (Autonomie oder Barbarei, S. 52).
Unsere agora soll einen Diskussionsraum für alle Themen und Fragen eröffnen, die auf den autonomieentwurf-Seiten angesprochen und aufgeworfen werden. Alle, die sich für diese Themen und Fragen interessieren, seien hiermit herzlich zum Mitdiskutieren eingeladen!
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