Freitag, 4. November 2016

Ungarn, aufgehende Sonne

Zu den wenigen vorbehaltlosen Befürwortern der ungarischen Revolution gehörten damals die Surrealisten. Sie verteilten im November 1956 ein Flugblatt mit dem Titel "Hongrie, soleil levant" - "Ungarn, aufgehende Sonne".

Sonntag, 23. Oktober 2016

Harald Wolf: Die ungarische Revolution und der Autonomieentwurf


Am 23. Oktober 2016  jährt sich zum 60. Mal der Ausbruch der ungarischen Revolution von 1956 -  ein würdiger Anlass zum Rückblick und zur politischen Reflexion. Die ungarische Revolution markiert einen tiefen Einschnitt in der Geschichte des osteuropäischen Realsozialismus, ihre welthistorische Bedeutung steht außer Zweifel. Dass sie im kollektiven Gedächtnis dennoch keinen rechten Platz hat, ist symptomatisch. Es wirft ein Licht auf das heute vorherrschende Verhältnis zur Vergangenheit - und auf den generellen „Anstieg der Bedeutungslosigkeit“ in einer Gegenwart, die allen Fragen, die für unsere gesellschaftliche Entwicklung und Zukunft von substantieller Bedeutung sind, konsequent ausweicht und einem besinnungslosen "business as usual" folgt. Eine solche substantielle Frage - die politische Frage per se - hatte die ungarische Revolution, wie ein Blitz aus dem düsteren Kalte-Kriegs-Himmel der 1950er Jahre mit Macht auf die geschichtliche Tagesordnung gestellt: die Frage nach realer Demokratie und nach einer selbstbestimmten Gesellschaft.

Was aber ist bis heute der Hauptsinn, den man den Ereignissen von 1956 in Ungarn gibt? Den einer frühen und heroischen Etappe im letzten Endes - durch den Zusammenbruch der UdSSR und die Auflösung des Warschauer Pakts - erfolgreichen Kampf um nationale Unabhängigkeit von der totalitären sowjetischen Unterdrückung. 1989/90 – Abschaffung des Einparteiensystems, Einführung der westlichen Form des Kapitalismus und Abzug der sowjetischen Truppen – wird in dieser Sichtweise zur Erfüllung der Hoffnungen und Forderungen von 1956. Der Hauptsinn von Ungarn 56 liegt – jedenfalls für uns – jedoch anderswo: im Streben nach Autonomie und radikaler Demokratie. Die ungarische Revolution war nämlich ein weiteres Beispiel jener bahnbrechenden Momente revolutionärer Spontaneität der arbeitenden Bevölkerung, in denen mit der Rätedemokratie eine neue Form gesellschaftlicher Selbstinstitution aufgetaucht und kurze Zeit erprobt worden war, wie zuvor etwa in Russland 1917/18 oder in Spanien 1936. Der vorsichtigen Entstalinisierung von oben setzen im Juni 1956 die Arbeiterinnen und Arbeiter im polnischen Poznán eine resolute Bewegung von unten entgegen. Ihr Streik wird militärisch niedergeschlagen, stößt aber politische Reformen an und ist für viele in Osteuropa ein Fanal. Mit einer Solidaritätskundgebung für die Polen beginnt am 23. Oktober in Budapest die ungarische Revolution - eine Kette spontaner Aktionen, an denen sich fast alle Schichten der Bevölkerung beteiligen und die binnen kurzem den bisher alles beherrschenden Partei- und Staatsapparat pulverisiert. Bis Ende Oktober entstehen überall Räte, die sich daran machen, die Idee wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Selbstbestimmung in die Tat umzusetzen.

Diese spontanen Ansätze zu einem demokratisch-selbstbestimmten Neubeginn wurden freilich schon im November von russischen Panzern in Schutt und Asche gelegt. Die Bresche, die die ungarische Revolution ins Gebäude der im Kalten Krieg erstarrten Nachkriegsgesellschaften und in Richtung eines autonomen Gemeinwesens geschlagen hatte, war schon wenige Monate später, nach der Entmachtung und Auflösung der letzten revolutionären Räte, wieder geschlossen. Im Osten wurde die ungarische Revolution als Konterrevolution denunziert und später totgeschwiegen, im Westen als nationalistische Volkserhebung zu vereinnahmen versucht. Diese Vereinnahmungstradition setzt heute in Ungarn das autoritäre Orbán-Regime schamlos fort. Aber auch von den Intellektuellen wird sie - abgesehen von wenigen rühmlichen Ausnahmen, wie derjenigen von Castoriadis oder Hannah Arendt - kaum gewürdigt und bald vergessen.

Was ist heute noch aus diesen Erfahrungen zu lernen, worin besteht die Aktualität der ungarischen Revolution? Es bieten sich verschiedene Anknüpfungspunkte für eine vergegenwärtigende Diskussion an, die wir auf einer Veranstaltung am 29. Oktober 2016 in Berlin führen wollen (und für die jetzt vorliegende neue Castoriadis-Übersetzungen Material liefern). Einige Parallelen zum Schicksal der syrischen Revolution scheinen mir frappierend zu sein. Stephen Hastings-King hat in einem erhellenden Beitrag über "The Syrian Revolution and the Project of Autonomy" einen Satz von Yassin al-haj Saleh aufgegriffen: „Syria is a methaphor for a global crisis of representation.“ Wirklicher Dissens und Widerstand werden heute entweder durch bestimmte mediale Mechanismen de-thematisiert und de-repräsentiert oder aber brutal vernichtet und ausgelöscht. Beides verstärkt sich gegenseitig und führt so auf die eine oder andere Weise zum Verschwinden und raschen Vergessen. Im sanften Autoritarismus, der in den liberalen Oligarchien des Westens inzwischen herrscht, beobachten wir ersteres; im harten Autoritarismus, der in unterschiedlicher Couleur die übrige Welt dominiert, permanent letzteres. 1956 spielten – in der Terminologie von Castoriadis – der westliche fragmentierte und der östliche totale bürokratische Kapitalismus, gegen den die Ungarn sich erhoben, die entsprechenden Rollen. Und wie seinerzeit die der ungarischen, so führt heute die Vernichtung der – 2011 im „arabischen Frühling“ begonnenen – syrischen demokratischen Revolution zu einer gewaltigen Flüchtlingsbewegung und weltweiten Diaspora, die freilich den sanften kapitalistischen Autoritarismus der Metropolen von heute nachhaltiger erschüttern und „heimsuchen“ könnte als damals die ungarische.*

* Nachbemerkung am 27.10.16: Wie ich gerade erst sehe, findet einen Tag nach unserer Ungarn-Veranstaltung (also am 30.10.) passender Weise ebenfalls im Haus der Demokratie und Menschenrechte eine Podiumsdiskussion unter dem Titel "Was bewegt die aufständische Bevölkerung in Syrien - auch heute noch? Wie könnte Solidarität aussehen?" statt.

Montag, 6. Juni 2016

Andrea Gabler/Harald Wolf, An Anthology Unpublished: Who Is Afraid of "Socialisme ou Barbarie"?


Once upon a time, in the 50s and 60s of the bygone century, there were some bold people united in a tiny revolutionary group in France calling itself „Socialisme ou Barbarie“ („Socialism or Barbarism“). In dark times, in a journal of the same name they published seminal analyses of the Eastern and Western capitalistic systems of oppression and exploitation calling out to sabotage and abolish these systems.

A decade ago (2007), former members of „Socialisme ou Barbarie“ - Helen Arnold, Daniel Blanchard, Enrique Escobar, Daniel Ferrand, Georges Petit, and Jacques Signorelli - edited an anthology of texts published in the journal in the French publishing house Acratie (La Bussière), with texts, amongst others, by Cornelius Castoriadis, Claude Lefort, Jean-François Lyotard, and Daniel Mothé. Now, after a long time and initiated by David Curtis, for many years the translator and editor of Castoriadis’ writings, and by Richard Greeman, director of the International Victor Serge Foundation, there should have been published an extended English edition of this anthology, translated by Curtis, at Pluto Press, London.

But the publication of this edition, already announced in the autumn preview of Pluto Press, is now being stopped. The contracts on which this project was based were nullified in an apparently unilateral manner by the Victor Serge Foundation and Pluto Press. A grave act indeed, for which one can expect explanatory statements. What has happened?
(Here you can continue [PDF].)

Sonntag, 5. Juni 2016

David Döll, Bernard Schmid: Von der Regierungskrise zum Bewegungserfolg? Zur Dialektik des Klassenkampfes in Frankreich


Die Nacht der Proletarier*innen ist also gekommen. Die Bewegung steht nun vor der Herausforderung wie sie ihre Heterogenität produktiv zu einer gemeinsamen politischen Artikulation bringt, der über den Kampf der Gewerkschaften hinausgeht. Dafür braucht es eine strategische Diskussion. Diese hoffen wir mit diesem Debattenbeitrag [der am 3.6. auch auf dem Bewegungsblog des Neuen Deutschland erschien] zu öffnen.

Mit den Aufrufen zum unbefristeten Streik hat die Bewegung gegen das »Loi Travail und seine Welt« in Frankreich ein neues Kampfniveau erreicht. Die Streiks und Blockaden in zentralen Logistikbranchen öffnen zum ersten Mal eine Problemstellung, welche die bisherige »Aufstandsbekämpfung der Regierung« ernsthaft an ihre Grenzen bringt. Für den nächsten großen Aktionstrag am 14. Juni könnte sich nun die ausgerufene Komplett-Blockade im Großraum Paris als springender Punkt im Klassenkonflikt erweisen. Die abendliche Nuitdebout-Besetzung hat sich mit einer morgendlichen Streikblockade verbunden, die Regierungskrise verschärft sich täglich, und unter dem Beton der französischen Raffinerien liegt nun vielleicht der Schlüssel für den Bewegungserfolg.

Das Ende des demokratischen Scheins

Die Strategie der parlamentarischen Opposition war vergeblich. Manche GegnerInnen des »Arbeitsgesetzes« in Frankreich, das für die Lohnabhängigen einen ungeheuren Rückschritt bedeuten wird, hatten auf Abgeordnete vom linken Flügel der Sozialdemokratie gesetzt. Nachdem die Regierung mit dem Verfassungsartikel 49-3 die parlamentarische Sachdebatte ausgehebelt hatte, war der Misstrauensantrag gegen die Regierung die letzte Möglichkeit, um die Arbeitsreform im Parlament aufzuhalten. Im entscheidenden Moment stand die Parteiräson den so genannten linken SozialdemokratInnen allerdings näher als das Anliegen, den Gesetzentwurf zu stoppen.

Die Kritik innerhalb des regierenden Parti Socialiste (PS) und die Angst der Regierung vor einer Parlamentsdebatte zeigten jedoch die Krise der Regierung und deren autoritäres Staatsverständnis: François Hollandes »neue Kleider« bestehen nur noch in dem Ziel, als Präsident der unpopulären Reformen in die Geschichte eingehen zu wollen. Die Aussage von Regierungschef Valls, einen von der Nationalversammlung angenommen Text durchsetzen zu müssen, ist im Angesicht der Anwendung des Verfassungsartikels 49.3 eine argumentatorische Bankrotterklärung. Im Klartext lässt die »sozialdemokratische Regierung« lieber die Polizei mit Blendgranaten auf DemonstrantInnen schießen als eine nach bürgerlichem Verständnis »demokratische« Debatte im Parlament zu führen.

Auf dem Weg zu einer wahren Massenmilitanz

Vergebens zeigt sich zweitens die Strategie, alleine durch militante Aktionen von mehr oder minder isoliert agierenden Kleingruppen den Gesetzentwurf aufhalten zu können. Gewiss geht es dem politisch bewussten Teil in diesem »antagonistischen Block« durchaus ums kapitalistische Ganze. Doch aus einer strategischen Perspektive ist die Klammer des Kampfes gegen das Loi travail momentan unerlässlich, während militante Kleingruppen sich für solche »Details« erklärtermaßen weniger interessieren.

Wo der nihilistische Militanz-Fetisch stumpf die Bewegung spaltet, liegt das befreiende Element gerade in der massenhaften Aufnahme von vermittelbaren Widestandsprakitken, die für einen Großteil der bürgerlichen Bewegung noch vor zwei Monaten undenkbar gewesen wären. Der entscheidende Zug besteht hier gerade nicht in der illusorischen Vorstellung, die Polizei im Feld schlagen zu können, sondern in der kollektiven Selbstformierung des aufbegehrenden Subjekts.

Für eine Bündelung der Kämpfe an den kritischen Stellen

Eine Auflösung des Dilemmas, zwischen einer Strategie einer parlamentarischen Opposition und der bloßen Steigerung der Militanz ist jedoch möglich. Unsere Meinung nach liegt sie in einer Aufhebungen dieser Teilaspekte durch die Strategie der Bündelung der Kämpfe [convergence des luttes], die konsequenterweise auch das Nebeneinander der verschiedenen Akteure und Aktionsformen in ein sinnvolles Verhältnis zueinander setzten muss.

Der besetzte Platz dient gleichzeitig als demokratische Legitimierung und Politisierungsfeld, die wilden Demonstrationen führen über eine wahrhafte und wehrhafte Massenmilitanz zum kollektiven Bruch mit dem Bestehenden, die gewerkschaftlichen Streiks fordern mir ihren materiell-ökonomischen Angriffen die Infrastrukturen des Staates heraus. In ihrem Zusammenkommen in der vielschichtigen und multiplen Blockade, im Zusammenkommen des zivilen und militanten Ungehorsams, kann sich derzeit die Dialektik des Klassenkampfes an den neuralgischen Punkten der Energieinfrastruktur entfalten.

Die Blockaden der Öl-Raffinerien wurden zwar militärisch geräumt, dem Streik der ArbeiterIinnen in den Raffinerien konnte das indes keinen Abbruch schaffen, der Treibstoff wird immer knapper. Zudem werden 16 der 19 Atomkraftwerk bestreikt, landesweit kam es bereits zu temporären Stromausfällen. Der Verbandspräsident der kleinen und mittelständischen Unternehmen (CGPME) Francois Asselin erklärte, dass bei einer Befragung 70 Prozent der UnternehmerInnen angaben, ihre Firmen bis Ende dieser Woche schließen zu müssen, wenn die Streiks und die Blockaden der Raffinerien bis dahin weitergehen. Neben dem Fernverkehr wird ab dem 1. Juni auch der Nah- und Flugverkehr bestreikt, der Auftakt der Fußball-Europameisterschaft am 10. Juni wird die Regierung zusätzlich Zugzwang setzen.

Das Zeichen für einen dritten gesellschaftlichen Block

Nur wenn sich die verschiedenen Akteure als Teil einer gemeinsamen antikapitalistischen Bewegung verstehen, kann es eine effektive Verbindung in Richtung eines emanzipatorischen Projekts geben. Das »Tout le monde déteste la police« (»Alle verachten die Polizei«) – so richtig und wichtig dieser Slogan in einem Moment des Kampfes gewesen sein mag war – muss in ein »Toute L’europe déteste l’austerité« (»Ganz Europa hasst Austerität«) aufgehoben werden.

Dabei kann sich indes nicht auf die Gewerkschaften verlassen werden: Blockaden und Streiks öffnen nur den Horizont, in dem ein linker gesellschaftlicher Block seine politische Form annehmen kann. Mit der Artikulation der Proteste gegen das geplante »Arbeitsgesetz« – »und gegen seine Welt« – wie die französischen Protestierenden skandieren, ist dafür die Kampagne auf französischer Seite schon vorgezeichnet. Entsprechende, inhaltlich ähnliche oder parallele Vorhaben gibt es in nahezu allen EU-Ländern, wie das bereits verabschiedete »Arbeitsgesetz« der Rechtsregierung in Spanien, den so genannte Jobs Act unter Matteo Renzi oder den »Peters-Gesetz« genannten aktuellen Gesetzentwurf in Belgien.

In der Ablehnung der herrschenden neoliberalen Agenda einerseits und mit dem Aufbegehren gegen die nationalistische Regression andererseits, kämpft die Bewegung in Frankreich derzeit an der geoökonomisch nördlichsten Front für das Projekt eines »dritten gesellschaftlichen Blocks« in Europa.

Donnerstag, 21. April 2016

David Döll: Nuitdebout - Auf dem Weg zur Nacht der Proletarier*innen?


Dieser Text erschien in einer ersten Version am 19. April im Bewegungsblog von Neues Deutschland. Es ist ein Text in Bewegung im zweifachen Sinn: Er versucht die Bewegungen um Nuitdebout in Paris nachzuzeichnen und die geneigte Leserin/den geneigten Leser selbst ein Stück zu bewegen. Es geht weder darum, eine analytische Wahrheit festzuschreiben, noch der Bewegung zu erklären, was sie tun soll, viel eher ist es eine Einladung zur Diskussion über eine bemerkenswerte Erhebung auch im Zentrum Europas.

Die antikapitalistischen Proteste in Paris bündeln vielfältige Kämpfe. Davon kann man hierzulande lernen

„Das Bewusstsein, das Kontinuum der Geschichte aufzusprengen, ist den revolutionären Klassen im Augenblick ihrer Aktion eigentümlich. Die Große Revolution führte einen neuen Kalender ein.“ Walter Benjamin, Geschichtsphilosophische Thesen

„Auch muss jeder Versuch, das globale System zu blockieren, jede Bewegung, jede Revolte, jeder Aufstand als ein frontaler Versuch verstanden werden, die Zeit aufzuhalten und ihr eine weniger verhängnisvolle Richtung zu geben.“ 
Unsichtbares Komitee, An unsere Freunde, S. 73

Auf dem Place de la République beginnt am 31. März eine neue Zeitrechnung: Statt nach dem großen  Demonstrationstag in den kapitalistischen Normalbetrieb zurückzukehren, folgen tausende Menschen einem vorbereiteten Aufruf und besetzen den Place de la République: "nuitdebout" schallt es durch Paris. "Die Nacht im Stehen" verbreitet sich im Folgenden wie ein Lauffeuer über zahlreiche französische Städte und führt am Samstag, den 9. April (dem 40. März nach der Zeitrechnung von Nuitdebout), auch in Belgien, Spanien, Italien und Deutschland zu ersten Versammlungen. Das alleine zeigt, dass es sich hier nicht nur um ein lokales oder nationales Problem handelt, um das Arbeitsgesetz "Loi travail El-Khomri"[1] oder die autoritären Strukturen der französischen Hochschule. Es geht hier auch um ein fundamentales Unbehagen gegenüber der europäischen Austeritätspolitik und dem neoliberale Herrschaftsprojekt im Ganzen.
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1. Der globale Kontext der Situation

Um die Ereignisse in Frankreich zu verstehen, genügt es nicht, lediglich die spezifisch französische Situation der Arbeitsgesetzreform zu analysieren. Vielmehr muss der globale Protestzyklus seit Ende 2010 nachvollzogen werden, der durch vielfältigen Massenprotesten und Revolten in große Teilen der Welt neue Formen des Protests, der Organisation und Subjektivität hervorgebracht hat. Dieser „Epochenbruch[2] bedeutet einerseits eine Kritik an sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnissen sowie andererseits eine Selbstorganisation und Suchbewegung nach anderen Praktiken des Gemeinsamen von bisher nicht organisierten Menschen. „Die Konsistenz in Umfang, Reichweite, Inhalt, politischer Ausrichtung und Form, die dabei an den Tag tritt, ist mindestens seit den 1960er Jahren unbekannt.“[3] Nuitdebout ist nicht nur die jüngste Erhebung in einem Kontinuum von Aufständen von Occupy Wallstreet, den Besetzungen des Tahir-Platzes oder der M15-Bewegung in Spanien, sondern zitiert aktiv deren Aktionsformen, ausgehend von der Platzbesetzung (wie sie insbesondere auch für arabischen Revolten ausschlaggebend war) und den Formen der partizipativen Demokratien, bis hin zu den experimentellen Zeichensymbolen und der Umbenennung von Zeiten und Orten[4]

Auch wenn Occupy Wallstreet und die M15-Bewegungen vorübergehend von den Plätzen diffundiert sind, so hat sich doch der Geist dieser Erhebungen in das Bewusstsein der Unterdrückten und Aufständischen eingeschrieben. Durch die Kommunikation über soziale Medien wird die Lokalität von Erhebungen zudem schneller „übersprungen“ als jemals zuvor. Die „Nuitdebout-Bewegung“ baut also in der Form auf diesen Protestbewegungen auf und antizipiert mit dem Kampf gegen das Gesetz „Loi travail El-Khomri“ einen konkreten antikapitalistischen Inhalt. Auf einer makroökonomischen Ebene der binneneuropäischen Auseinandersetzung stand Frankreich lange zwischen den ökonomisch „reicheren Nordländern“ und den „ärmeren Südländern“. Nicht zuletzt die Hoffnung der Regierung Tsipras lag darin, dass von der „sozialdemokratischen“ Regierung Frankreichs mit seinem ökonomischen und politischen Kapital ein entscheidender Impuls für einen Anti-Austeritätsblock innerhalb der EU ausgehen würde. Das ist nicht geschehen, und nun kehrt die Regierung Hollande das Austeritätsregime gegen die französischen Lohnabhängigen, schreibt den Niedergang der wohlfahrtsstaatlichen Sozialdemokratie auch in Frankreich fest, und öffnet damit zugleich das Fenster für eine Bewegung links der Parti Socialiste.
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2. Die Situation öffnen

Wenn sich anhand dieser neuen Wellen der Massenproteste  zeigen lässt, dass der Funken, der das Feuer des Widerstands entfacht, auf einen entzündbaren Boden trifft, so spricht das die radikale Linke allerdings nicht frei von einer antizipierenden Suche nach einem katalysierenden Kampffeld. Im Gegenteil, so viel Spontanität die einzelnen Bewegungen auch entfalten, so hängt die Öffnung der Situation auch von einer Koordinierung und Vorbereitung ab, die sich über eine Analyse der Kräfteverhältnisse verständigt und materielle Vorbereitungen trifft.  Für die Pariser Proteste war der Ratschlag mit dem Titel «Leur faire peur»: une initiative commune contre l’oligarchie“[5] am 23. Februar ausschlaggebend, bei dem Gewerkschaften, Intellektuelle, und Linkradikale über eine Initiative diskutierten, die sich gegen die „Oligarchie“ in Ökonomie, Politik und Medien richten soll. Die Frage auf der Tagesordnung lautete, wie gegen die extreme Rechte, die gemäßigte Rechte und nationale „Linke“ ein linker gesellschaftlicher Block entstehen könne. Dieser „Bewegungsratschlag“ ging davon aus, dass es quasi zeitgleich große Demonstration in Bezug auf den Ausnahmenzustand, Notre-Dame-des-Landes, Goodyear und Universitätsreformen gab: wie also eine „convergence des luttes“ eine Bündelung der Kämpfe herbeiführen? Meine These lautet, dass das Arbeitsgesetz "Loi travail El-Khomri" nur der entscheidende Anlass war, der ein – seit dem Ausnahmezustand sich beständig politisierterendes – Spektrum von Jugendlichen und Linken zu einer Bewegung werden lässt.

In der spezifisch französischen Konstellation, wo die Regierung Hollande die Agenda 2010 der deutschen Sozialdemokratie teilweise nachzuahmen versucht und dabei aber auf den Widerstand der größeren Französischen Gewerkschaften stößt, die anders als in Deutschland auch wegen „sozial- und wirtschaftspolitische Belangen“[6] streiken dürfen, öffnete sich ein Möglichkeitsfenster. Seit Anfang März organisieren Schüler*innen und Student*innen Streiks an Schulen und Universitäten, und am 9. März kommt es zum ersten Mal zu einem landesweiten Protest mit großer Gewerkschaftsbeteiligung und mehreren hunderttausenden Streikenden. Als die Gewerkschaften für einen großen Streiktag am 31. März erneut mobilisieren (ein Aktionstag mit 1,2 Millionen Streikenden), beginnen die Vorbereitungen für eine Platzbesetzung auf dem Place de la republique: "On ne rentre pas chez nous après la manif" („Nach der Demo gehen wir nicht nach Hause“) lautet der Slogan, der insbesondere über die Seite von „Convergence des luttes“ verbreitet wird. In einem Moment, in dem also eine breite gesellschaftliche Mobilisierung geschieht, Jugendliche sich massenhaft politisieren und die (sozialdemokratischen) Gewerkschaften eine große öffentliche Wahrnehmbarkeit herstellen, gelingt der mobilisierungstechnische „Sprung“ von Demonstration und Streik in das Ungewisse der Pariser Nacht hinein.
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3. Die Bewegung in der Nacht

Die Ereignisse in Paris sind zunächst von einer großen Bewegungsschläue geprägt: Werden Demonstrant*innen angegriffen, wird das Polizeirevier belagert, werden Menschen festgenommen, gibt es „wilde Demonstrationen“, „Belagerungen" und Straßenblockaden. Am 5. April pressen friedliche aber entschlossene „Nuitdebout-Aktivist*innen“[7] über eine stundenlange Straßenlockade im 5. Arrondissement einige ihrer festgenommenen Kamerad*innen frei. Braucht es einen Plenumsort, werden Plätze besetzt, fehlt es an Entscheidungsstrukturen, werden Arbeitsgruppen und Kommissionen eingesetzt. Der Anfang der Platzbesetzung wird über den Film „Merci Patron“[8] vermittelt, einen sozialkritischen Film, der die Besetzung gleichzeitig kulturell als öffentliche Filmvorführung legitimiert und für die Besetzenden einen einheitsstiftenden Charakter bekommt. Besonders ist auch ein Gespür für die Wichtigkeit der symbolischen Kommunikation vorhanden. neben der Seite auf Facebook, die in weniger als 3 Wochen über 100.000 „gefällt-mir“ Angaben bekommt, wird auch eine eigene Fernsehplattform auf Youtube installiert. Nuitdebout-Aktivist*innen stellen sich teilweise mit dem anonymen Namen „Alex“ vor und sprechen in der ersten Person (also nicht als die Bewegung) darüber, wie die Bewegung sich entwickeln soll. Es entsteht ein anonymes Kollektiv, das sich untereinander kennenlernt, aber nach außen eine Repräsentationsfigur ablehnt. Versucht die Regierung mit vermeintlichen Sprechführer*innen zu verhandeln, werden diese von der Bewegung als nicht legitimiert ausgewiesen. 

Die Bewegung ist auf den Plätzen, sie hat das Momentum auf ihrer Seite. Laut einer Umfrage[9] befürworten 80% der Jugendlichen die Nuitdebout-Bewegung, 70% denken, dass ein neuen Mai ’68 möglich ist, und 60% können sich vorstellen, die Bewegung aktiv zu unterstützen. Die Polizei reagiert indes immer repressiver, bekommt die Situation jedoch nicht unter Kontrolle, die Auseinandersetzung um den Platz der Republik herum, ähneln Straßenschlachten, Protestierende besuchen Manuel Valls, den bei der Bewegung verhassten Premierminister der Parti Socialiste, zum Apéro[10] oder greifen Banken an, wenn die Polizei gerade den Weg zum Elysee-Palast blockiert.


4. Die Bedeutung von Nuitdebout

Die Bewegung weist immanent einen heterogenen Charakter auf, setzt sich aus verschieden Alters- und Klassenzugehörigkeiten zusammen und steht in einem Spannungsfeld zu den traditionellen gewerkschaftlichen Demonstrationen. Innerhalb der Nuitdebout-Bewegung würde ich von einer eher demokratiefokussierten Richtung im Sinne von „Occupy“ und einer eher genuin antikapitalistischen Richtung im Sinne der „Convergence des luttes“ sprechen. Was der Bewegung allerdings konsequent gelingt, ist die Unterbindung jeglicher Art von Querfrontversuchen. Der frühere Maoist und heutige Vorzeigeintellektuelle des Front National Alain Finkielkraut[11], der sich die Bewegung einmal „anschauen“ wollte, wurde zunächst vom Platz der Republik verwiesen[12]. Der rechtsextreme Front National steht der Bewegung völlig äußerlich gegenüber und fordert sogar die Auflösung der Besetzung des Place de la République. Was die Bewegung also jetzt schon erreicht hat, ist das Aufzeigen eines Gegenpunktes in völkisch-nationalen Zeiten, eines demokratischen Hoffnungsschimmers gegen das neoliberale Herrschaftsprojekt in Europa, eines dritten politischen Blocks. Kurzfristig gelingen eine massenhafte Politisierung von unorganisierten Menschen, eine „große Ausbildung“ der nächsten Generation von Aktivist*innen und ein (Hoffnungs-)Zeichen der Demokratie. Langfristig könnte damit in Frankreich ein linker Akteur entstehen, der nun auch in Zentraleuropa einen Kampf gegen die neoliberale Hegemonie austragen kann.


Mittelfristig wird eine entscheide Frage darin liegen, wie die Verbindung zu anderen Orten und Sektionen der Auseinandersetzungen gelingt. Nuitdebout Paris hat mittlerweile eine eigene Seite für die Bewegung in den Banlieus, gleichzeitig gibt es Solidaritätsaktionen von Student*innen mit den streikenden Eisenbahner*innen[13] und Autobahnblockaden[14]. Gelingt es hier weite Teil der Lohnabhängigen, die alle von dem "Loi travail El-Khomri" betroffen wären, zu mobilisieren, wäre am 28. April ein aktionsstarker Streik möglich, der noch einmal ganz neue Möglichkeitshorizonte öffnen würde. Ohne die Beteiligung der sozialdemokratischen Gewerkschaften am 28. April indes wird kein großer Generalstreik möglich sein, allerdings könnten mit den kleineren radikalen Gewerkschaften auch andere Aktionsformen erprobt werden. Eine zentrale Lehre aus der Occupy-Bewegung wäre darin zu sehen, die Platzbesetzung nicht mehr als Ziel zu hypostasieren, sondern auch als Mittel zu nutzen, wie der Bewegung eine dauerhafte Verständigung und Selbstsubjektivierung gelingen kann. In einem Interview mit einer Künstlerin sagt diese, dass die gemeinsamen Besetzungen auf dem Place de la République zugleich die Isolation des Alltags aufheben und eigenständige Lernprozesse auslösen. Die „internationale Kommission“ von Nuitdebout Paris hat unterdessen zu einem ersten globalen Aktionstag am 1. Mai, einem internationalen Bewegungsratschlag am 7/8. Mai in Paris[15], und zu einem großen Aktionstag am 15. Mai aufgerufen. Am Jahrestag der M15-Bewegung soll weltweit gegen das Projekt der Herrschenden protestiert werden. Die Nuitdebout-Bewegung will sich damit zeitlich verstetigen und global etablieren.


5. Die Aufgabe der radikalen Kräfte

Auch wenn die Insurrektionalist*innen um das Unsichtbare Komitee den demokratischen Erhebungen von Nuitdebout zurzeit nicht viel abgewinnen können, sei hier noch einmal an ihre Definition der revolutionären Tat erinnert: „Die entscheidende Tat ist jene, die dem Zustand der Bewegung eine Spur voraus ist und die ihr den Bruch mit dem Status quo den Zugang zu ihren eigenen Potentialen eröffnet. Diese Tat kann sein, etwas zu besetzen, zu zerstören, zuzuschlagen oder auch nur die Wahrheit auszusprechen; darüber entscheidet der Zustand der Bewegung. Revolutionär ist, was tatsächlich Revolutionen auslöst.“ Die Distanzierung des Komitees von ihrem „Szene-Insurrektionalismus“ in An unsere Freund*innen geht hier noch nicht weit genug, um hinzuzufügen: oder eine Filmvorführung zu organisieren. Allerdings geht es kategorisch stets darum, das Unmögliche möglich, das Undenkbar denkbar und das Unsagbare sagbar zu machen. Der radikalen Linken in Frankreich gelingt es, den Kampf gegen das Arbeitsgesetz "Loi travail El-Khomri" in einen Kampf gegen die „Regierungsweise El-Khomri“ zu übersetzen.[16] Die Umfragewerte von Francois Hollande liegen laut einer neuen Umfrage nur noch bei ca. 12%.[17] Entwickelt sich die Bewegung weiter, wird der qualitative Sprung im diskursiven Gefüge darin liegen, gleichzeitig den Rücktritt der Regierung zu verlangen, und in der Geste der M15-Bewegung ihre Kritik auf die Regierungen insgesamt auszuweiten: „Ihr repräsentiert uns [überhaupt] nicht“. Nuitdebout hat zudem zielsicher die Thematisierung der „Panamapapers“ aufgegriffen – dies könnte dem Slogan „We are the 99%“ einen neuen, politischeren Ausdruck geben, und die sozialen Spaltungen der Subalternen mit einem avancierten „Klassenhass statt Rassismus“ aufheben.

Am 19.04.2016 gibt es die erste „Nuitdebout chez Renault“, die um 6 Uhr Morgens beginnt. Die radikalen Teile der Bewegung wissen um die Dringlichkeit die Lohnabhängigen insgesamt anzusprechen, und dafür auch ihre hipsterhaften Teil des Abends (die der Bewegung allerdings größtenteils äußerlich sind, zumindest seit den Räumungen des Platzes durch die Polizei) hinter sich zu lassen. Die Nacht der Proletarier*innen beginnt sehr früh, weil die Aktivist*innen wissen, dass ein „Parisdebout“, eine stillgestellte Stadt, nur mit der Basis der Arbeiter*innen zu haben ist. Die Student*innen, deren Fakultäten seit über einem Monat bestreikt werden, müssen nun die kritischen Orte finden, bei denen die Bewegung der Aufständischen und die Ablehnung des „Loi travail El-Khomri“ auf den fruchtbarsten Boden fällt. Sie müssen ihren Weg zu den zentralen Orten der sozialen Strukturen in den Banlieus finden, sie müssen ortskundig werden und die Bruchstellen im System ausmachen. Sie müssen das taktische Element von Occupy in die strategische Richtung „Convergence des Luttes“ einbetten. Ich denke, dass eine Bewegungsvariante von Blockupy im Sinne von Occupy+Blockade+Situationsöffnung die neuralgischen Punkte in der Infrastruktur suchen sollte, auch in Hinblick auf die internationale Mobilisierung am 7./8. Mai. Wichtig wäre es zudem, diskursiv eine Gesellschaftskritik zu entwickeln, die eine Propaganda nach außen und eine Verständigung über die Ziele nach innen ermöglicht. Das lähmende Element von Occupy, „keine Forderungen“ aufzustellen, muss überwunden werden, und zwar nicht im Sinne eines für immer festgelegten Programms sondern zu einer Verständigung über die „Essentials“ einer emanzipativen Bewegung. Hinter die drei Achsen des Antikapitalismus, Antirassimus und Queerfeminismus kann dabei nicht zurückgetreten werden.

Die „Aktivist*innen“ nutzen im Sinne der Hypothese des Epochenbruchs ihre geringe „materielle Verankerung“ bisher im besten Sinn, indem sie das Diskursgefüge der Erhebungen der letzten Jahre als absolute Minderheit auf dem Platz de la République wachrufen. Ebenso rufen sie auch das noch teilweise schlafende Proletariat an, seine Umnachtungen zu überwinden: Nuitdebout als Weck- und Aufruf  für eine Nacht der Proletarier*innen? Die Bewegung geht als horizontale Avantgarde voraus, bringt in sehr kurzer Zeit großes Erfahrungswissen hervor und beginnt sich taktisch zu denken: Wie eine Versammlung zu einer Entscheidung bewegen? Wie die wilden Demonstrationen vor der Polizei schützen? Wie die breiten Diskussionen am Laufen halten und gleichzeitig in eine effektive Analyse der Situation übergehen? Auf der strategischen Ebene muss nun vehement die Frage gestellt werden, welche Schlachten gewonnen werden können, und wie verbindliche Zwischenziele formuliert werden können ohne die Bewegung zu überlasten oder ihr Spontanität und Kreativität zu nehmen. Die Auseinandersetzung um das Loi Travail bleibt dabei zunächst entscheidend, gelingt hier zumindest ein Teilsieg wird die Bewegung weiter Auftrieb erhalten. Die radikalen Kräfte der Convergence de Luttes müssen hierin die Bündelung organisieren zwischen der Nuitdebout-Bewegung und den gewerkschaftlichen Streiks, radikal ist es Kämpfe zusammenzuführen und auf eine neue Stufe zu heben.

Über die Kreativität, die Kunstkomissionen und –aktionen, über die Spontanität und die Freude der Platzbesetzung kann von Deutschland aus wohl nicht sehr plastisch geschrieben werden. Dafür sei auf diesen[18]  Blog verwiesen und das internationale Treffen auf dem Place de la République am 7./8. Mai. Für eine Berichterstattung, die über Paris hinausgeht und vielleicht gerade das neue und andere in den Blick bekommen, können die lokalen Seiten von Nuitdebout aufgerufen werden.[19] So viele Gelegenheiten für Lernprozesse ergeben sich nicht: Es ist an der Zeit, dass sich die deutsche Linke mit der Nuitdebout-Bewegung befasst, die mittlerweile auch in Berlin[20] und Leipzig[21] über 100 Personen zu Vollversammlungen zusammenbringt, in Berlin sogar mit prominenter Beteiligung[22]. Das nächste Treffen dort findet am Mittwoch (23. April) um 19h am Mariannenplatz statt. Außerdem gibt es am 26. April eine Diskussionsveranstaltung[23], wo Genoss*innen direkt vom Place de la République berichten. Ohne einer Illusion des einfachen Transfers der französischen Situation nach Deutschland nachzuhängen, gilt es auch hier von den Innovationen der Bewegung zu lernen und die Frage nach einer convergence des luttes, einer Bündelung der Kämpfe zu stellen.








[1] Benannt nach der französischen Arbeitsministerin Myriam El Khomri.
[2] Azzellini, Ein Epochenbruch. Die neuen globalen Proteste zwischen Organisation und Bewegung, Prokla 177 (2014).
[3] Ebd.
[4] So wurde der Place de la République symbolisch zum Place de la Commune umbenannt.
[7] Der passendere Ausdruck wäre das Subjekt zu „Nuitdebout“; die Bewegung wird auch eine neue Sprache hervorbringen.
[16] „La loi travail n’a été qu’un effet déclencheur parmi une rafale de lois sécuritaires, des projets inutiles et imposés, de lois contre les travailleurs, d’une montée graduelle de la répression faîte aux migrants et c’est pour ça que lors des manifestations lycéennes, ainsi qu’étudiantes, à aucun moment les slogans, les pancartes et les banderoles ne se sont limités à la loi travail. Critiquer la société pour penser l’état du monde. Voilà une phrase résumant l’esprit que porte la jeunesse. “ https://paris-luttes.info/rien-ne-nous-arretera-tout-5293?lang=fr

Freitag, 15. Januar 2016

Die syrische Revolution und der Autonomieentwurf

Aus dem "syrischen Frühling" und dem syrischen Aufstand von 2011 heraus ist eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung für politische Freiheit, Gleichheit und Würde entstanden. Krieg und Terror, mit denen das Assad-Regime und weitere regionale wie internationale Terrorgruppen und politische wie religiöse Akteure diese Bewegung zu zerstören versuchen, lösten eine Massenflucht aus. Die katastrophalen Folgen dieser Entwicklung zeigen sich spätestens jetzt auch "bei uns": in einer sich zuspitzenden "Flüchtlingsproblematik" in ganz Europa, die die gesellschaftspolitische Landschaft auch hier überall dramatisch zu verändern begonnen hat.

Stephen Hastings-King war im Herbst 2015 in Istanbul und hat dort im syrischen Kulturhaus Hamisch einen Vortrag gehalten, in dem er die Erfahrung der syrischen Revolution und dieser Entwicklung in die Perspektive eines internationalen Autonomieentwurfs stellt. Sein Text "The Syrian Revolution and the Project of Autonomy" kann auf dieser (auch sonst informativen) Webseite gelesen und kommentiert werden - oder letzteres auch direkt über die Kommentier-Möglichkeit auf diesem Blog. Eine Diskussion über die wichtigen Thesen und Vorschläge von Stephen wäre auf jeden Fall sehr zu begrüßen! Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus ihnen für unsere eigenen politischen Aktionsmöglichkeiten ziehen?