„Autonomie oder Barbarei“ ist in den Texten von Band 1 der Ausgewählten Schriften - und vor allem im Interview "Der Anstieg der Bedeutungslosigkeit" - deshalb die zumindest implizite Leitformel, weil Castoriadis befürchtet, dass vor unseren Augen eine lange, durch Katastrophen, aber auch durch fruchtbare gesellschaftliche und politische Konflikte geprägte schöpferische geschichtliche Epoche zu Ende geht. Eine Epoche, die nicht nur den Triumphzug von Kapitalismus und Totalitarismus, sondern auch eine Renaissance und Fortentwicklung emanzipatorischer Bewegungen sah: der bürgerlichen Revolutionen, der Arbeiterbewegung, der Frauen-, Studenten- und Jugendbewegungen etc. – alles unterschiedliche Anläufe zur Institutionalisierung eines Entwurfs von Autonomie.
Eine dunkle historische Phase könnte diese Epoche vor unseren Augen ablösen - oder schon abgelöst haben - , gekennzeichnet von blinden Gewaltausbrüchen und gesellschaftlicher Desintegration, doch ohne geschichtliche Kreativität und Alternative. Für diese historische Tendenz steht bei Castoriadis – bereits in der ursprünglichen, klassischen Kampfformel "Socialisme ou Barbarie" – das Wort Barbarei. Die Texte in Autonomie oder Barbarei versuchen auch einige der wenigen heute noch erkennbaren Fluchtlinien einer Wiederaufnahme und Fortführung des kollektiven und individuellen Entwurfs der Autonomie zu markieren.
Die Einzelaspekte und natürlich die Angemessenheit und Stimmigkeit einer solchen - äußerst pessimistisch anmutenden - Diagnose wären zu untersuchen. Näher zu betrachten bleibt unter anderem, was der Topos der "Bedeutungslosigkeit" eigentlich alles bezeichnet - er verweist gewiss in erster Linie auf den für Castoriadis zentralen Begriff der "imaginären Bedeutungen" - als dem "Kern" von Gesellschaftlichkeit überhaupt. Welche theoretischen und praktischen Implikationen hat solch eine "Zeitdiagnose" einer Schwächung (?) des "Kerns" des Gesellschaftlich-Geschichtlichen?
Desweiteren sind die Überlegungen von Castoriadis zum Islam und der Rolle der arabischen Länder, die er in dem Interview (von 1993) vorbringt, nicht ohne Aktualität und Brisanz. Vielleicht sollte man sie einmal zusammenzufassen und gemeinsam zu bewerten versuchen?
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